
Anna Riess – Künstlerin
Liebe Anna, stell dich doch unseren LeserInnen kurz vor, was machst du so in deinem beruflichen Leben?
Ich bin Künstlerin. Eigentlich habe ich mal Architektur und Kulturanthropologie studiert und dann eine Schmuckausbildung gemacht. Nun stelle ich Objekte vorwiegend aus Keramik, Textil und Metall her. Der weibliche Körper spielt dabei oft eine Rolle. Ich habe zusätzlich begonnen, prozessorientierte Keramik-Workshops für Frauen zu geben. Das macht mir Spass und darin sehe ich großes emanzipatorisches Potenzial, wenn es um die Erkenntnis geht: ich kann das.
Interdisziplinäre Projekte mit der Fotografin Maria Ritsch oder der Modedesignerin Christina Seewald haben mich in vielerlei Hinsicht weitergebracht. Ich arbeite sehr gerne mit Frauen zusammen, die die selben Werte wie ich teilen und Lust haben, Grenzen zu überwinden. Auch mit Martina Öttl und Doris Darling sind Projekte in Planung.
Im Dialog mit anderen Künstlerinnen überwinde ich eigene Zweifel in meiner Arbeit viel eher. Wichtig ist mir auch der Austausch und der gegenseitige Zuspruch unter Freundinnen, die zusätzlich die Herausforderung der Mutterrolle kennen oder versuchen zu verstehen.
Wofür möchtest du dir mehr Zeit nehmen?
Das ist eine Frage, die eine andere Dimension hat – jetzt zur Viruszeit. Dennoch gehe ich meistens sehr bewusst mit meiner Lebenszeit um. Wenn ich merke, dass ich für meine Tochter und meinen Partner und vor allem für mich zu wenig Zeit habe, ziehe ich die Handbremse. Ich durfte die Schattenseite von Stress schon früh kennenlernen und dadurch kenne ich meinen Körper gut um wahrnehmen zu können, was ich wann brauche. Genug Schlaf, ein Bad mit Lavendel, Musik, Kuchen, Kunst. Mein individuelles Tempo anzunehmen und nicht so hart zu bewerten, ist immer wieder wichtig für mich.
Offene Vorhaben sind bei mir open end im Kopf: den Mut für das laute Singen zu finden, die Ruhe Gedichte zu lesen und selbst zu schreiben oder wieder mit einem Tagebuch anzufangen. Eigentlich würde ich gerne mein Französisch verbessern und näher am Meer wohnen. Diese „Krise“ gibt uns allen die Möglichkeit genau hinzuhören, was wir wirklich wollen. Ich hoffe, dass diese Essenz sich „danach“ leichter umsetzen lässt und wir anders mit unserer Zeit und den uns gegebenen „Lebensräumen“, unserer Freiheit, umgehen werden.
Wann hast du zum letzten Mal etwas zum ersten Mal gemacht? Und was war das?
Gestern habe ich zum ersten Mal eine Videokonferenz mit meiner Familie gehabt. Wien – Graz – Mexiko. Ich habe drei Geschwister. Mein jüngster Bruder ist in Mexiko. Geplant war ein Studienaufenthalt noch bis zum Sommer. Jetzt mit dem Virus ist es besser, wenn er nach Hause kommt. Das war etwas Neues. Familiäre Nähe über eine Videokonferenz.
Wer oder was inspiriert dich?
Ich denke, das ist sehr komplex. Bei mir ist es so, dass mein Bewusstsein und mein Unterbewusstsein in Phasen der Ruhe Ideen spinnen. Es ist eine Kombination aus dem, was ich sehe und erlebe und dem, was ich erlebt habe oder welche Geschichten meine Großmutter mir erzählt hat, oder Menschen, die ich schätze. Meine Intuition und mein Bauchgefühl sind meine engsten Vertrauten. Hier spüre ich meistens, ob ich auf dem richtigen Weg bin und ob ich einer Idee nachgehen soll. Es muss sich gut anfühlen und mir Lust machen, es darf mich nicht mehr loslassen.
Konkurrenz vs. Support unter Frauen – welche Erfahrungen durftest du sammeln?
Ich versuche, mich sehr bewusst mit Menschen zu umgeben, die mir gut tun. Das ist eine Haltung die ich mir auch aufgrund von negativen Erlebnissen angeeignet habe. Meine Selbstständigkeit lässt es zu, sehr genau darauf zu achten, mit wem es klappt. Hier verlasse ich mich wieder auf mein Bauchgefühl und wo die Energie passt. Ich habe früher in einem Angestelltenverhältnis für eine Frau gearbeitet, wo es nicht gepasst hat und mir Vorwürfe anhören dürfen, dass ich etwa als Mutter das Team ausgenutzt hätte.
Umso glücklicher bin ich, dass es auch Feministen gibt, die meine Arbeit mögen und unterstützen, wie z.B. Robin Peller vom Café Kandl. Für das Café habe ich „Tittitassen“ entworfen und gefertigt. Gerade arbeite ich an Vasen und Besteckhalter. Am Ende ist es der Mensch, der dich fördert und an dich glaubt. Der Respekt und das Verständnis sind oftmals größer, wenn man ähnliche Erfahrungen gemacht hat.
Als Mutter und Künstlerin ist es immer ein Balanceakt. Zeit für meine Tochter zu finden und für sie da zu sein hat für mich die gleiche Priorität, wie die, meine Projekte so umzusetzen, dass ich am Ende zufrieden bin. Man läuft immer Gefahr, eine Sache half ass (sorry) zu machen. Hier hilft es mir, immer mit meinem Partner auf Augenhöhe zu reden und meine Bedürfnisse klar zu kommunizieren.
Was bedeutet Weiblichkeit für dich?
Für mich ist es ein Form von Freiheit. Sich so zu zeigen, wie man ist. Manchmal gelingt mir das besser, manchmal denke ich zu viel darüber nach. Ich finde Christine and the Queens eine sehr inspirierende Künstlerin, wenn es um das Verhandeln von Weiblichkeit geht, oder auch Jakob Lena Knebl. Für mich ist eine Reise dorthin, wo es sich real anfühlt, wo ich mir selbst und anderen nichts vormache.
Frau-Sein – welche Rolle spielt dieses Thema in deinem Leben, in deiner Arbeit?
Ich setze mich ständig damit auseinander. Wenn es um Weiblichkeit geht, denke ich an Freiheit. Aber gleichzeitig stoße ich körperlich an meine Grenzen. Zyklusbedingt muss ich besonders auf mich und meine Grundbedürfnisse achten. Für mich heisst das, sehr aktiv auf meinen Körper zu hören. Wie sich immer wieder zeigt, kann ich diesem vertrauen.
Aus vielen meiner keramischen Objekte wachsen Brustwarzen, um den weiblichen Körper im Alltag sichtbarer zu machen und zu thematisieren. Als werdende Mutter fand ich vor allem die neue Rolle im Hinblick auf meinen Körper spannend. Aus diesem kam ein neuer Körper und wollte von heute auf morgen versorgt werden. Diese Transformation und dieses Neuland Mutter zu sein, fließt immer in meine Arbeit ein.
Welches war das schönste Kompliment, das dir jemand gemacht hat?
Ich hätte eine schöne Stimme und schöne Hände.
Wenn du eine Sache auf der Welt verändern könntest, was wäre das?
Ich würde mir wünschen, wenn wir wieder „frei“ sind und die Welt bereisen dürfen, dass wir Menschen das noch bewusster und respektvoller der Natur gegenüber tun. Die Zeit ohne unseren schlechten Einfluss zeigt, wie schnell sich der Planet wieder erholen kann. Ich wünsche mir, dass wir diesen ‚reset‘ nutzen, um für die Natur zu arbeiten und nicht ausbeuterisch zu agieren. Ein Wunsch ist zu wenig… ich hätte bitte gerne noch das Grundeinkommen für jede und jeden und bin mir sicher, es würde uns auch im Hinblick auf die Gleichberechtigung nach vorne katapultieren.
Herzlichen Dank liebe Anna!
Stay tuned – bald ist auch Annas Webshop online.
Fotos: Maria Ritsch und Martina Lajczak