
Sabine Ziegelwanger – Sexualpädagogin und Yogalehrende
Liebe Sabine, erzähl uns ein bisschen über dich. Was machst du beruflich?
Mein Name ist Sabine Ziegelwanger. Ich bin seit einigen Jahren selbständig tätig als Sexualpädagogin und Yogalehrende. Die Arbeit, Begegnung und der Austausch mit Menschen war schon immer meine Passion, die ich nun auch beruflich ausleben darf.
Ich habe einen Lehrgang zu sexueller Bildung aufgebaut und geleitet und unterrichte momentan zukünftige Lehrende an zwei Unis und viele andere Menschen, die sich im psycho-sozialen Feld bewegen und natürlich auch mit verschiedenen Aspekten von Sexualität in Berührung kommen.
Sexualität ist Teil eines jeden Menschen und die Verbindung mit Körperarbeit empfinde ich als sehr nährend, vielfältig und inspirierend.
Darin liegt auch die Brücke zum Yoga als ganzheitlicher Lebenskunst. Uns spüren, sinnlich erleben und ausdrücken in unserer Einmaligkeit, Stärke und Verletzlichkeit kann das Leben wirklich bereichern. Yoga unterrichte ich derzeit in St. Pölten und in einer tiergestützten pädagogischen Einrichtung am Land.
Momentan habe ich etliche Projekte in Planung, die sich tiefergehend mit den Themen: Körper, Eros und Spiritualität auseinander setzen. Daran mit anderen zu tüfteln bereitet mir gerade sehr viel Freude. Sie auch umzusetzen und anderen den Möglichkeitsraum eröffnen, sich selbst zu erfahren, zu inspirieren und zu stärken…hmmm… das wird schön…
Wie sieht dein persönlicher Weg aus und wie bist du dorthin gekommen wo du jetzt gerade stehst?
In der sexuellen Bildung zu landen ist mir „passiert“. Ich bin 39 Jahre und zu Studienbeginn um das Jahr 2000 (ich hab Soziologie studiert) gab es das Feld der sexuellen Bildung noch nicht. Also hab ich mich eher per Zufall einer Gruppe motivierter Medizin- und Psychologiestudierender angeschlossen, die ein Projekt mit dem Namen „achtung°liebe „ aufbauen wollten. Ein sogenanntes Peer-Projekt für Jugendliche in der Schule zu Fragen von „Liebe, Sex und Beziehungen“. Das hat mir sehr getaugt und ich habe gespürt, wie ich persönlich durch den Austausch mit anderen profitiere und mich als sexuelles Wesen erst kennen und spüren lerne.
Ich bin auch soziologisch/wissenschaftlich tiefer in die Themen: „Sexualität, Beziehungen, Geschlechter“ eingetaucht und eines ergab das andere. Irgendwie entwickelte ich mich zu einer Pionierin im Feld sexueller Bildung in Österreich. Ich habe lange Zeit bei „First Love (Mobil)“ (ÖGF) in Wien gearbeitet, beraten (im Chat, am Telefon) und mich fortgebildet wo es ging. Eher eklektisch und autodidakt und über die Landesgrenzen hinweg mit anderen bereits etablierten Institutionen den Austausch gesucht und realisiert, was im Bereich „sexueller Bildung“ als „state of the art“ gilt. Es ist alles geflutscht, wenn man so will.
Yoga begleitet mich seit meinem 22 Lebensjahr. Es gab diesen Moment, an den ich mich noch sehr gut erinnere: ich saß als junge Studentin in meinem Zimmer am Boden und las in einem Buch als ich realisierte, dass ich nicht ohne Anstrengung im Langsitz sitzen konnte. Ich habe eine Skoliose, das wusste ich, aber die Tatsache, dass ich diese Haltung nicht einnehmen konnte beschäftigte mich und ich kaufte mir ein Yogabuch, nachdem ich gehört habe, dass dies gut tun soll. „Damals“ war social-media noch kein Thema und der Yoga-Boom noch nicht im Gang. Kaum jemand trug Leggings oder bauchfreie Tops…Und so landete ich in einem aus heutiger Perspektive renommierten Yogastudio: dem Prana. Über die Jahre realisierte ich, wie gut mir Asana- und Pranayamapraxis tun und ich wollte tiefer eintauchen. In einer 4jährigen Ausbildung bei Dagmar Shorny fand ich damals das Fundament, von dem ausgehend ich mir viele weitere Inspirationen holte – unter anderem längere Zeit im Theravada-Buddhismus bei meiner langjährigen Herzenslehrerin Ursula Lyon. Ich habe jedoch für mich erkannt, dass ich kein Mensch von „Richtungen“ bin. D.h. für mich ist es sehr stimmig, wenn ich das, was ich in Büchern, Begegnungen, Retreats, Fortbildungen erfahre versuche wirken zu lassen und mit meiner Lebenssituation abzustimmen. Dogmen, Idealismen sind mir suspekt, ebenso starke Hierarchien …
Wie vereinbarst du dein Unternehmen mit deinem Privatleben/mit deiner Familie?
Derzeit gelingt mit das ganz gut, nachdem ich noch – nicht mehr lange- „nur“ für mich und meinen Partner verantwortlich bin. Ich hatte bisher das Privileg mich völlig auf mich und meine Interessen zu konzentrieren. Wie das Leben von uns allen, ist auch meines gezeichnet von Brüchen, Gleichzeitigkeiten und Widersprüchlichkeiten, Sackgassen, Scheitern, Neuanfängen. Aber ich hatte keine Scheu davor für das zu gehen, von dem ich wusste: da ist was, was sich stimmig und gut für mich anfühlt, wo ich tiefer gehen möchte. Ich habe mich lange Zeit nicht getraut, in die Selbständigkeit zu gehen und es gab Jahre, in denen ich auf Halbe-Halbe gemacht habe; d.h. z.B. 20 Stunden im „sicheren Hafen“ der Anstellung und daneben die wirklich spannenden Projekte aufbauen. Irgendwann war klar: jetzt oder nie! Im Nachhinein gesehen war es für mich persönlich sinnvoll die Projekte „wachsen und wurzeln“ zu lassen und nicht ins Blaue hinein zu springen.
Wie ich in Zukunft mein Privatleben mit meinen Projekten verbinde, wird sich zeigen. Ich werde diesen Herbst Mama und es fühlt sich alles sehr „abenteuerlich“ an. Einerseits habe ich bestimmte Bilder vor meinen Augen, wie es auch mit kleinem Wesen für uns alle gut laufen kann – andererseits: you never know! Wow! Vieles, was diesbezüglich gerade in mir geschieht.
Diese Frage bitte nochmal in einem Jahr stellen – aber auch da wird nur eine Momentaufnahme möglich sein. Ich bin zuversichtlich, das es gut sein wird.
Was bedeutet Weiblichkeit für dich?
Das ist eine schwierige Frage…
Als Sexualpädagogin und Soziologin würde ich jetzt gaaanz lange ausholen, aber das erspar ich euch an dieser Stelle. In letzter Zeit begegnen mir im Yoga (Yinyoga) wie auch in der Beschäftigung mit ganzheitlich körperlich-sexuellen Zugängen taoistische Konzepte des Yin und Yang, die für männliche und weibliche Aspekte stehen. Prinzipiell finden sich in jedem Menschen unabhängig von dessen geschlechtlicher Identität Aspekte von Yin und Yang und wir alle streben nach Balance – diese kann sich individuell verschieden ausdrücken.
Das weibliche Prinzip symbolisiert für mich die Quelle, die Urkraft aus der alles Lebendige emporsteigt; das weibliche Prinzip steht symbolisch für Sammlung, unendliches Potential und Macht, tiefer Raum, Urvertrauen – für endlose Stille und Weite, die aus sich heraus wirkt und zu der Yang als kreatives Handeln immer wieder zurückkehrt. Ebenso wie sich Yin immer wieder in Yang transformiert.
Ich weiß, sounds „upgespaced“ – aber auch das kann erfahren werden und sich stimmig anfühlen…wenn sich frau* zu fragen beginnt, wie sieht es mit meinen unterschiedlichen weiblichen und männlichen Aspekten aus? Was entspricht meinem Wesen, was möchte ich ausdrücken – wo verspüre ich Inbalancen, was lebe ich, weil ich diese „Rolle“ als Frau unhinterfragt reproduziere….was möchte ich daran ändern, damit ich authentisch sein kann…?
Was bedeutet es für dich eine starke Frau zu sein?
Eine starke Frau* hat erkannt, dass sie bereits „ganz“ ist, d.h. dass sie niemanden dazu braucht, um sich ganz zu fühlen. Sie geht einen Weg, der ihrem Wesen entspricht, geführt von ihrem „Herzgeist“ – nachdem sie meist (und immer wieder mal) auch schmerzhaft erfahren musste, dass sie viel getan hat, um zu gefallen, geliebt zu werden oder einem bestimmten Bild zu entsprechen. Und sie hat den Mut, für ihre Ideale einzustehen, ohne ein Dogma daraus zu machen…
Eine starke Frau* zeigt sich solidarisch mit anderen Frauen*, hat aufgehört sich zu vergleichen und in Konkurrenz zu gehen, besonders mit anderen starken Frauen*. Sie weiß um ihre Privilegien und engagiert sich für weniger privilegierte Menschen, vor allem Frauen*. Sie weiß, was ihr gut tut, scheißt auf „das gehört sich nicht!“ und sucht immer wieder auch das Alleinsein – die Ruhe mit sich selbst. Sie weiß, wo sie Kraft findet und was ihr Kraft nimmt… Und manchmal steht sie wieder an und weiß nicht weiter und gerade in ihrer schamlosen Verletzlichkeit findet sie auch wieder eine Quelle der Kraft und Inspiration und Verbundenheit mit Anderen.
Worin besteht dein Sinn des Lebens? Hast du eine Vision in dieser Welt?
Schön, dass ihr nach Sinn fragt. Ich habe nämlich in letzter Zeit das Gefühl, dass sich gerade sehr viel um „Glück“ dreht, wir uns jedoch mal mehr der Frage zuwenden sollten, was unserem Leben „Sinn“ schenkt. Ich denke, dass ein sinnerfülltes Leben automatisch„nachhaltigeres“ Glück im Gepäck hat.
Der Sinn kann sich im Leben eines Menschen verändern und vielfältig erfahren werden. Ich betrachte mein Leben manchmal als lebendiges Kunstwerk, dessen Sinn darin zu finden ist authent, wach und in Verbindung mit meinem Inneren und dem Außen zu sein. Ich versuche ganzheitlich einzutauchen in meine Alltagserfahrungen und staunend zu erkennen, wie wir – unser Ego – von unserer Umwelt geformt und dadurch immer wieder von unserem eigentlichen Wesen getrennt werden… und das tut auch mal weh….
Neugierde und Staunen bringen mich trotzdem immer wieder in Situationen, in denen ich berührt werde und Menschen berühre und dadurch was Neues entstehen kann: nicht zuletzt eine neue Perspektive auf das Leben selbst.
Sinn bereitet mir natürlich auch der Inhalt meiner Arbeit: Sexualität als ganzheitliche Lebenskraft, Freude und Sinnlichkeit in tiefer Begegnung, aber auch als politisches Instrument der Unterdrückung und Freiheit. Dies zu vermitteln und auch selbst damit zu experimentieren ist derzeit sinnvoll für mich. Ebenso Menschen darin zu inspirieren, sich selbst näher zu kommen, mit allem, was da mit schwingt und spricht – mutig, akzeptierend, konfliktfähig, reflektierend… ja, das verleiht meinem Leben Tiefe.
Und schließlich, ja schließlich, bereitet mir das Wesen, das in meinem Körper heranwächst viel Freude und zusätzlichen Sinn in meinem Leben.
Was war für dich bis jetzt die größte Herausforderung in deinem Leben?
Ich glaube, dass ich gerade vor der größten Herausforderung in meinem Leben stehe: der Geburt eines Wesens, das ich in meinem Körper heranwachsen spüre und die Verantwortung, die ich dadurch gemeinsam mit meinem Partner übernehme (ein Mal Eltern – immer Eltern).
Eine große Herausforderung war und ist es: immer wieder zu mir zu stehen, in mich hinein zu lauschen und mich zu akzeptieren, so wie ich bin.
Was hilft dir dich immer wieder zu motivieren? Hast du besondere Rituale?
Das Wissen, dass alles in Bewegung und Veränderung ist – d.h. in Phasen, die sich wirklich anstrengend, kräftezehrend, aussichtslos anfühlen sich die Gewissheit reinzuholen: auch das wird vorbeigehen!
Meine Rituale? Schlafen (ein Allheilmittel), meinen Körper spüren, z.B. durch Yoga, Spazieren, Laufen, Natur spüren, hören, riechen; und (dynamische) Stille kultivieren: Atemmeditation oder offenes Gewahrsein praktizieren, d.h. den Schweinehund überwinden und sich täglich ein paar Minuten dafür Zeit nehmen – das wirkt nachhaltig.
Wie findest du zu dir selbst, zu deiner Mitte?
Turn off your phone und beweg dich – am besten nach Draußen in die Natur.
Und wenn nicht geht, dann Folgendes: wenn du frühstückst, dann frühstückst du; wenn du duschst, dann spürst du die Wassertropfen auf deiner Haut; wenn du an einem Text schreibst, dann schreibst du an einem Text und lässt das Handy lautlos; d.h. achtsam bei EINER Sache bleiben: nicht leicht, aber echt wohltuend, entschleunigend….
Wofür bist du dankbar?
Puhh, für so Vieles. Mir ist in den letzten Jahren bewusst geworden, wie privilegiert ich bin: als weiße Frau* weitestgehend selbstbestimmt meinen Frieden zu leben…. eine Familie zu haben, in der ich mich – allen alltäglichen „Wahnsinnigkeiten“ zum Trotz – wohlfühle und in der Konflikte ausgetragen werden können; in einem Körper zu leben, der mich ohne große Beschwerden durch dieses Leben trägt; angstfrei Menschen zu begegnen, die….ja die so sind wie sie sind…
Ich bin vor allem dankbar über das Privileg, mein Bewusstsein zu schulen; dafür, dass ich tiefer forschen darf, was Leben ist – dass ich mutig Fragen stellen darf und womöglich in die Antworten hineinwachse.
3 Erkenntnisse, welche du vielleicht mit uns teilen magst?
„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort werden wir uns begegnen.“
Rumi
Wer oder was inspiriert dich?
Inspirationen können auftauchen, wenn ich meditiere.
Weitere Inspirationen finde ich in der Natur, der Musik, der Beobachtung und dem Austausch mit nahestehenden Menschen, besonders kleinen Menschen, die im Augenblick leben, außerdem finde ich euch und euer Projekt inspirierend!
Schön, dass ich daran teilhaben darf.
Alles GUTE von Herzen!