
Eva Schatz – MINT CLUB Tattoo + Studio Schatz
Liebe Eva, erzähl uns ein bisschen über dich. Was machst du beruflich?
Hallo, ich bin Eva Schatz, bin fast 36 Jahre alt, komme aus Salzburg und mache die Welt täglich etwas bunter. Im Grunde genommen könnte ich zusammenfassend sagen, dass ich beruflich Menschen bemale.
Ich bin die Gründerin von MINT CLUB Tattoo, einem Tätowier-, Kunst- und Design-Atelier in Salzburg (in dem ich mit meinem Partner Bob seit 2012 arbeite) und dem Studio Schatz, einem Atelier in dem ich für kleinere Unternehmen die noch Großes vor haben Grafik-Design, (meist analoge) Fotografien und Illustrationen erstelle.
Ich kreiere Kunst und Design auf verschiedensten Medien und in verschiedensten Gebieten – und das macht mir zur Zeit unglaublich große Freude.
Wie sieht dein persönlicher Weg aus und wie bist du dorthin gekommen wo du jetzt gerade stehst?
Eigentlich bin ich in meinen jetzigen Beruf gestolpert. Oder war es Berufung und es hat mich dahin gezogen? Im Nachhinein kann man das nicht so genau sagen.
Ich habe vor 15 Jahren Grafik-Design in Salzburg & danach Fotografie in Berlin studiert. Habe dann aber, während ich damals als Designerin in einer Salzburger Werbeagentur gearbeitet habe, festgestellt, dass ich nicht für größere Unternehmen geschaffen bin. Die vielen langen Prozesse, Meetings und der ganze Rattenschwanz an Administration und Personen „über mir“ die ganze Freude am Gestalten und mir immer der Künstlerische und zeichnerische Aspekt und der direkte Kundenkontakt etwas fehlte.
Zu dieser Zeit ließ ich mir gerade meinen Arm von meinem zukünftigen Lehrmeister tätowieren und musste immer wieder daran denken, wie es wohl wäre, wenn ich meine eigenen Tattoo-Designs entwerfen und tätowieren kann. Ich konnte es in meinem Traum richtig „spüren“, dass ich das machen will, also ich fühlte, wie ich tätowierte, obwohl ich es noch nicht mal ansatzweise probiert hatte. Doch 2005 oder 2006 war es leider noch nicht so einfach an das ganze Metier zu gelangen und eine Ausbildung zu finden.
Doch ich setzte alles auf eine Karte. Ohne die fixe Zusage von dem Tattoo-Studio in dem ich meine Lehre beginnen wollte kündigte ich einfach meinen Job als Grafikerin und nahm mir zum Ziel, in den drei Monaten meiner Kündigungsfrist das alles hin zu bekommen. Was soll ich sagen, es hat geklappt, aber es war ein sehr sehr harter Weg und ich würde es so wohl kein zweites Mal machen. Ich hab alles aufgegeben, bin mit 23 wieder zurück zu meinen Eltern gezogen und verdiente lange Zeit nicht viel Geld trotz Sieben-Tage-Woche.
13 Jahre später hab ich jetzt ein eigenes Studio, bin viel um die Welt gereist und hab auf unzähligen Conventions gearbeitet und bin schon ziemlich überrascht was ich in diesen Jahren eigentlich alles so geschafft und erlebt hab, da es mir so kurz vorkommt.
2015 habe ich mir dann in den Kopf gesetzt, ein kleines nachhaltiges, komplett in Europa produziertes Modelabel zu gründen, da es bis dato nur Öko-Mode gab, die auch genau so aussah (was es jetzt zum Glück nicht mehr ist). Ich wollte mich schick kleiden und auf die Herkunft schauen, doch es gab nur sehr wenig Auswahl. Wir starteten mit sehr bunten Designs welche echt super ankamen und sich sehr gut verkauften. Doch mit der Produktion der zweiten Kollektion stieß ich an meine Grenzen und ich musste erst erfahren wie viele Steine einem in den Weg gelegt werden, wenn man ein kleines unbekanntes Label ist und einfach nur lokal und nachhaltig Mode produzieren will. (Und ich meine nicht nur Rohlinge bedrucken, sondern richtig produzieren inklusive der Organisation der gesamten GOTS-zertifizierten Wertschöpfungskette, aller Schnitte, Ablauf in den Produktionsbetrieben, etc..).
Ich musste mich für die dritte Kollektion entscheiden: Will ich schnell groß wachsen und sehr viel Geld investieren (oder Investoren suchen) und will ich, dass dies super viel Platz in meinem Leben und in meiner Arbeitswoche einnimmt oder ist vielleicht einfach die Zeit noch nicht reif für ein langsam und gesund wachsendes Label und ich versuche es in fünf Jahren nochmal? Ich entschied mich für Letzteres und habe mein Projekt 2016 unter sehr vielen Tränen wieder aufgegeben. Denn man muss wissen wann die Zeit reif und wann sie noch nicht reif für etwas ist und man muss auch scheitern lernen.
In dieser Zeit musste ich mir eingestehen, dass ich einfach durch und durch eine Künstlerin und Designerin bin und leider miserabel in Verhandlungen mit Produktionsfirmen. Manchmal muss man sich Dinge auch eingestehen, die man nicht so gut kann, damit man einen Schubs in die richtige Richtung bekommt und sich eingesteht, dass einem tätowieren und designen einfach viel wichtiger ist als ein kleines Modelabel.
Wunderschön ist, dass sich meine beiden Leidenschaften einfach immer überschneiden und somit zu einer Großen verschmelzen. Denn ich kann weder im Tattoo-Business noch im Grafik-Design bzw. der Fotografie meinen Kunden einfach mein Design aufdrängen, sondern ich muss sie verstehen, fühlen, einschätzen und dann eine Welt um sie herum genau auf sie maß-schneidern, die sie perfekt wieder spiegelt und ihre Visionen und Ihre Werte für die Außenwelt sichtbar macht.
Wie vereinbarst du dein Unternehmen mit deinem Privatleben/mit deiner Familie?
Das coole an meinem Job ist, dass ich mit meinem Partner zusammen arbeite und lebe. Dies erleichtert die Sache unglaublich, da wir keinen Stress haben abends heim fahren zu „müssen“, weil jemand auf uns wartet. Was natürlich auch oft in 14-16-Stunden-Tagen endet oder ich noch bis tief in die Nacht am Küchentisch an neuen Designs zeichne oder wir schon mal beim Sonntagsfrühstück die nächsten Wochenpläne oder Visionen für unseren Laden besprechen.
So unvorstellbar dies für manche Menschen klingt kann ich es mir gerade nicht anders vorstellen, denn diese Verschmelzung ist wunderschön, da man so viele gemeinsame Interessen hat und teilt. Bob ist leidenschaftlicher Rennradfahrer und da wir uns ja sowieso jeden Tag 24 Stunden sehen, ist es auch überhaupt kein Thema wenn er am Wochenende sehr viel auf Radtouren ist (manchmal fahr ich mit) und ich andere Dinge mache, da wir ja unter der Woche die Zeit gemeinsam genießen. Dies ist ein sehr großer Luxus!
Was bedeutet Weiblichkeit für dich?
Weiblichkeit bedeutet für mich, selbstbewusst mit seinem Körper umzugehen und sich nicht von anderen Menschen irgendwelche Flusen in den Kopf setzen zu lassen wie man sein (und sich kleiden) sollte oder wie man sich zu verhalten hat. Will man sexy sein, soll man sexy sein. Will man androgyn sein, soll man das sein. Und man soll sich auch täglich anders fühlen, verhalten und kleiden dürfen ohne andauernd in eine Schublade gesteckt zu werden.
Kurz gesagt: Weiblichkeit bedeutet für mich, so sein und leben zu dürfen, wie ich will und wie ich mich fühle, ohne mich vor anderen rechtfertigen, schämen oder verstecken zu müssen.
Für mich stellen sich aber diese grundlegenden Fragen:
Ist Weiblichkeit und Frau-sein das selbe? Eine Frau ist man ja von Geburt an, doch ist man dann auch zugleich weiblich? Was ist weiblich überhaupt exakt? Muss man als Frau weiblich sein? Wer hat das jemals genau definiert? Und warum wird das überhaupt immer in Kategorien eingeteilt?
Was bedeutet es für dich eine starke Frau zu sein?
Sollte nicht eigentlich jede Frau eine starke Frau sein?
Ich bin von meinen Eltern sehr feministisch und auch unisex erzogen worden (was mir erst später bewusst wurde), da meine Mutter eine sehr starke, selbstbewusste Frau ist und meine Eltern generell nicht dem klassischen Rollenbild entsprachen.
Mein Vater war früher Judo-Trainer und hat mir schon früh Selbstverteidigung beigebracht (wahrscheinlich aber primär um beim raufen mit den ganzen Nachbarjungen nicht dauernd zu verlieren). Um mich im Leben behaupten zu können. Meiner Schwester und mir wurde niemals auch nur ansatzweise erklärt, dass es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, was, wenn man bedenkt, sehr modern ist, da mein Vater ja schon 73 ist und somit als Nachkriegsgeneration eigentlich in ein komplett anderes Rollenklischee fällt.
Ich glaube das ist auch der Grund, warum ich schon als Kind komplett naiv schon immer davon ausgegangen bin, dass jede Frau eine starke Frau ist und man das Wort stark garnicht braucht, weil es ja sowieso so ist.
Worin besteht dein Sinn des Lebens?
Ich merke, dass ich mich momentan in einer Phase des Umbruchs befinde. Meine Werte in Frage stelle, neu ordne und ich gerade auf der Suche nach einem neuen Sinn bin.
Ich dachte mir immer, mein Sinn liegt darin, andere Menschen (mit meinen Arbeiten) glücklich zu machen, doch hab ich dann immer auf mich selbst vergessen und mich in allen Dingen immer ganz hinten angestellt. Ich bin auf der Suche nach einem neuen Sinn – wenn man das so sagen kann (oder endlich dem wahren Sinn meines Lebens).
Hast du eine Vision in dieser Welt?
Bald hab ich eine neue.
Was war für dich bis jetzt die größte Herausforderung in deinem Leben?
Nein zu sagen. Etwas abzusagen und meinen eigenen Wert und den meiner Arbeit zu schätzen und anzuerkennen. Ich arbeite immer noch daran, denn ich habe ein permanent schlechtes Gewissen, dass irgendjemand beleidigt sein könnte, wenn ich deren Projekt nicht annehmen kann oder will. Ich bewundere alle Menschen die das so gut können.
Ich denke zugeben zu müssen, dass man gescheitert ist und das manche Ideen die man hatte doch nicht so gut sind wie man dachte war super schwierig.
Was hilft dir dich immer wieder zu motivieren?
Eine relativ praktische Eigenschaft an mir ist, dass ich super schnell schlimme Dinge oder „downs“ vergesse und dann echt wirklich schnell wieder gut drauf und motiviert bin. Keine Ahnung wie das geht, das hatte ich schon immer. Funktioniert übrigens auch, wenn ich auf jemanden sehr sauer bin, dann hab ich oft eine Stunde später vergessen, dass ich ja eigentlich böse bin;-)
Hast du besondere Rituale?
Sollte ich mich aber mal mit meinen Gedanken in einer Abwärts-Spirale verfangen haben, dann versuche ich Zeit für einen langen Spaziergang frei zu machen. Yoga, Meditation, eine heisse Badewanne, zwei drei motivierende Podcasts oder ein Buch zu lesen, damit ich schnell auf andere Gedanken komme.
Seit einem Jahr backe ich leidenschaftlich gerne Sauerteigbrot und das ist quasi wie meditieren für mich. Ich freue mich schon, jeden Sonntag ein neues Brot zu backen, denn das kneten, shapen und das „auf den Teig aufpassen“ (weil der ganze Back-Prozess 24h lang dauert, der Teig sehr sehr empfindlich ist und man Temperatur und Zeit sehr im Auge behalten muss) ist für mich eine unglaublich entspannende Aufgabe und ist momentan mein Lieblings-Ritual um wieder gut drauf zu sein. Funktioniert eigentlich immer. Zudem hat man immer frisches Brot, kann ich also sehr empfehlen.
Wobei ich sagen muss, dass ich wirklich extrem selten schlecht drauf bin, also wenn es hoch kommt fünf Mal im Jahr. Aber wenn mal irgendetwas hakt oder der Schuh drückt, dann back ich einfach ein Brot oder mache Yoga. Falls mich jemand mit unglaublich vielen Brot-Laiben zuhause findet, wisst ihr, dass ich grad ein bisschen Ruhe gebraucht hab;-)
Wie findest du zu dir selbst, zu deiner Mitte?
Brotbacken und dabei Podcasts hören.
Mit dem Rennrad eine Runde fahren und Ponys streicheln. Obwohl ich aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Salzburg komme, kann ich (bilde ich mir jedenfalls ein) in der Großstadt auch sehr gut entspannen – einfach spazieren gehen, mich auf eine Bank setzen und Menschen beobachten, und die Energie aufsaugen ist für mich Therapie pur (solange ich in keine U-Bahn muss). Bei Wald-Spaziergängen, die andere Menschen zur Ruhe bringen, fühle ich mich oft eher unwohl. Vielleicht weil ich neben dem Wald aufgewachsen bin und es mich deshalb mehr in die Stadt zieht.
Wofür bist du dankbar?
Ich bin dankbar, dass ich in einer Welt lebe in der noch Hoffnung bestehen könnte, dass endlich wieder mehr Menschen miteinander anstatt gegeneinander arbeiten.
Unglaublich dankbar bin ich auch, dass ich das Glück habe so geliebt zu werden wie ich bin und mich nicht verstellen muss um Jemandem zu gefallen.
Tragisch ist, dass mir vorkommt heutzutage ist es Luxus wenn man das Glück hat so sein zu „dürfen“ wie man ist.
Momentan versuche ich gerade wieder mein Dankbarkeits-Tagebuch zu füllen. Jeden Tag 5 Dinge für die ich heute dankbar bin und 5 Dinge die heute toll gelaufen sind aufzuschreiben, um mich vor dem Einschlafen immer daran zu erinnern, dass der stressigste Tag auch wunderschöne Minuten hatte.
Drei Erkenntnisse, welche du vielleicht mit uns teilen magst?
Glaube nie den Instagram-Fotos, jede Frau hat irgendwo Dehnungsstreifen.
Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht – oder besser gesagt, wenn man etwas erzwingen will, wird es meistens nichts.
Wir stehen nicht im Stau, wir sind der Stau.
Wer oder was inspiriert dich?
Menschen, die ihre Grenzen und ihren Wert kennen. An ihre Träume glauben und sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lassen, ohne ihr Ego in den Vordergrund zu stellen oder sich wichtiger zu nehmen als jemand Anderen.
Liebe Eva, wir danken dir sehr!